Mittwoch, 10. Oktober 2007

Erotisches Hörspiel

Tatzeit 08:00, Tatort S11

Im öffentlichen Nahverkehrsmittel aufgrund der grossen Nachfrage frühmorgens schon nur einen Stehplatz inklusive Studenten-Rucksack-im-Rücken ergattert. Ich werde dem Bundesamt für Gesundheit bei Gelegenheit einen Kampagnenvorschlag unterbreiten mit dem Ziel unseren Studenten die Fahrt mit dem Rad ins Gymnasium als Steigerungspotential für Lebensfreude zu verkaufen. Es wird sich sicherlich irgendwo auf unserem schönen Planeten ein Forschungsergebnis finden lassen, welches belegt, dass Radfahren die Lebensqualität und das Denkvermögen steigert. Dann hätten diejenigen wieder einen Sitzplatz, die bei der Arbeit nicht so viel denken müssen, wie die Horden von Gymnasiasten, welche täglich die Busse verstopfen.

Das Gesicht und die Psyche noch frühmorgendlich verknittert bietet der Tag somit wohl noch viele Entfaltungsmöglichkeiten. Die S-Bahn sieht von weitem und im Rennen gar nicht allzu vollgestopft aus und die Laune bessert sich schlagartig. Drei durchaus positiv zu wertende Ereignisse zugleich: des Licht auf der Öffne-die-Tür-Taste ist ausnahmsweise nicht zwei Zentimeter vor dem Finger erloschen, die Tür ging auf und ein Sitzplatz mit Fussfreiheit konnte ohne grosses Bergsteigen ergattert werden. Ich kuschle mich in die Ecke und schliesse nochmals die Augen, denn es gibt noch nicht viel zu sehen und ausserdem führt zu aktives Schauen häufig zu unangenehmen Gefühlen bei den anderen Insassen. Und das ist ja unbedingt zu vermeiden, oder?

Irgendwo klingelt wie gewohnt lautstark ein Mobiltelefon. Muss wohl geschäftlich und wichtig sein, denn wer möchte noch mitten in der Nacht private Gespräche führen? Weit gefehlt. Aufgrund der überaus herzlichen Begrüssung zwischen den beiden jungen Frauen, muss es sich eindeutig um ein Privatgespräch handeln. Das anfangs belanglose Gespräch über Dies und Das lullt langsam ein und verliert sich in der Unaufmerksamkeit. Doch plötzlich nimmt die nur einseitig einhörbare Konversation zwischen Petra auf der anderen Seite und der Blonden auf „unserer“ Seite eine dramatische Wendung. Die Freundin am anderen Ende muss wohl eine Frage im Sinne von „Ich habe gestern Nacht schon mal angerufen, aber Du gingst nicht ran. Wo warst Du?“ gestellt haben, denn die Blonde fängt begeistert und nach wie vor für das ganze Abteil nicht überhörbar von der letzten Nacht zu erzählen. Schon nach einigen Sätzen der Blonden, die nur durch neidische oder begeisterte Zwischenrufe von Petra unterbrochen werden, wird den Mitpendlern klar, dass die letzte Nacht der Blonden etwas ganz besonderes war. Es werden pikanteste Details eines Abends oder besser einer Nacht geschildert, die bei einem kleinen Feierabend-Drink in der Lieblingsbar begann und früh morgens verschwitzt geendet haben muss. Klingt wie aus dem Drehbuch eines mehr oder weniger anständigen Filmes und lässt wenig Spielraum für Missverständnisse.

Ich suche im Waggon nach der Quelle der Geschichte, um zum Ton auch ein Bild zu kriegen und stelle beinahe schon erstaunt fest, dass die Erzählerin trotz auf sie gerichteten, belustigten Blicken mitnichten errötet oder gar die Lautstärke senkt oder gar Details weglässt. Komplett versunken in die kleine virtuelle Welt, welche dank der modernen Kommunikationstechnologie zwischen Petra und ihr entstanden ist, schwebt sie, bis der Zug zum letzten Mal hält, dem siebten Himmel entgegen. Dort entsteigt sie dem Zug zusammen mit allen Belustigten und diese verpassen das letzte Kapitel des erotischen Hörspiels.


Aber offensichtlich stört dies die Wenigsten, denn alle stolpern mit einem kleinen Grinsen im Gesicht aus dem sonst so tristen Transportmittel und ich frage mich zum wiederholten Male wie englische Forscher zum Ergebnis gekommen sind, dass pendeln unglücklich macht.

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