Mittwoch, 10. Oktober 2007

Die SBB – ihre Abenteuerbahn

Tatzeit 08:22, Tatort S12

Verpennt und somit auch die weniger stark frequentierte S11 verpasst. Die S12 ist wie immer bereits am Morgen ein Renner. Es wird bereits vor dem Halt der Zugseinheit taktiert und die Ellenbogen sind weitgehend ausgefahren. Dieses Spiel überlasse ich freiwillig den Anderen. Gemütlich steige ich – nachdem die Verletzten der Runde eins zur Seite getragen worden sind – in den Zug, frage einen jungen Burschen, der mich trotz übergrossen Sennheisern zu hören scheint, ob der Rucksack auf dem Sitz neben ihm einen Namen habe und ob dieser auch auf seinen Knien oder in der Gepäckablage Platz nehmen könnte. Kein Problem, der Sitzplatz ist mein; Kommunikation ist alles.

Beim Griff in die Kuriertasche stelle ich fest, dass mein MP3-Player noch am Ladegerät zu Hause hängt und ich höre einfach bei meinem jugendlichen Sennheiser mit. Nicht mehr ganz mein Musikstil aber durchaus hörbar. In den Abteilen hinter uns, werden die geklopften Spräche der Wanderfreunde des örtlichen Turnvereins, die sich vergnüglich auf die gemeinsame Bergtour einstimmen, immer lautstarker und berieseln die ganze Zugseinheit. Bald wird klar, dass einige der Wandervögel ehemalige SBB-Mitarbeiter sein müssen, denn es wird gefachsimpelt, dass die Balken biegen. Fahrpläne, Zugsverbindungen und dazu gehörende Lokomotiven und Zugsführer werden auswendig zitiert. Wie kann man nur mitten in der Nacht so hellwach und kommunikativ sein? Wie auch immer, der Grossraumbüro-gewohnte Mithörer blendet aus und alles wird gut.

Die Fahrt im nun endgültig vollgestopften Zug geht los und auch gut bis kurz nach Stettbach. Nach dem dortigen Halt kurz wieder beschleunigt und dann eine Vollbremsung. Das Licht flackert und geht aus. Komplette Dunkelheit verbunden mit einem etwas unwohlen Gemurmel macht sich im Waggon breit. Die fachkundigen SBB-Rentner erklingen einstimmig: „Da kann was aber gar nicht mehr stimmen; jetzt dauert es eine Weile; wir werden den Anschluss in Zürich verpassen; der ganze Wandertag ist im Eimer…“.

Wir richten uns also auf eine längere Wartezeit ein und das wie sich herausstellt auch nicht zu unrecht. Nach einer halben Stunde die erste Mitteilung über die Lautsprecher: Maschinenschaden, die Zugseinheit muss abgeschleppt werden. Die fachmännischen Wandervögel ergänzen die Durchsage mit der nicht sehr hoffnungsvollen Zusatzinformation, dass eine solche moderne Zugseinheit nicht so ohne weiteres abgeschleppt werden kann. Die ersten Notrationen werden aus den Rucksäcken entnommen und verzehrt, Mobiltelefone laufen heiss und es vergeht eine weitere halbe Stunde. In dieser Zeit kreuzen und überholen uns auf dem zweiten Gleis einige glücklichere Zugsreisende und wir sind etwas neidisch. Dann fährt ein weiterer Zug vor und hält neben uns. Nach einer Viertelstunde werden Türen unseres Zuges geöffnet und es betreten Feuerwehrmänner in Vollmontur das Zugsabteil. Im dramatischen Licht der tanzenden Stirnlampen Retter in Gelb wird klar, dass der Zug evakuiert werden soll. Das wird bestimmt ein Riesenspass. Konfuse Befehle führen in unserem Doppelstöcker zu Völkerwanderungen in unterschiedliche Richtungen und das Chaos wird unübersehbar, die Stimmung jedoch erstaunlicherweise immer gelassener und es werden fröhliche Frotzeleien zwischen Menschen ausgetauscht, welche sich üblicherweise hinter Zeitungen versteckt anschweigen. Mir gefällts!

Endlich wird klar in welche Richtung der Personenstrom gehen soll und die Evakuation kann beginnen. Zwischen die beiden Türen der Züge werden Brücken verlegt und die Bergung geht einigermassen gesittet über die Bühne Nach einer halben Stunde fährt der – nach indischen Vorbildern komplett überladene „Bergungszug“ in Stadelhofen ein und entlädt dort eine fröhlich über das erlebte quatschende Menschenmenge, die dort von Reportern der lokalen Medien in Beschlag genommen wird. Grinsend werden die Erlebnisse geschildert und mir stellt sich einmal mehr die Frage, wie englische Forscher zum Schluss kamen, dass pendeln unglücklich macht.

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