Donnerstag, 8. November 2007

Experiment eines Busfahres

Tatzeit 18:30, Tatort lokaler Bus

Ich betrete schon etwas abgekämpft ein Gefährt des lokalen Nahverkehrsnetzes und da schallt mir aus der Führerkabine ein aufgestelltes „Guten Abend“ entgegen. Meint der mich? Mich ganz persönlich? Verdutzt schaue ich mich um und da niemand in der näheren Umgebung den Gruss erwidert, gehe ich davon aus, dass dieser tatsächlich für mich gedacht war. Irritiert setze ich mich auf einen freien Sitzplatz und denke darüber nach, was mir der Fahrer wohl sagen wollte! Sollte das heissen: „He, mach nicht so ein Gesicht, Du hast doch schon Feierabend und ich muss noch arbeiten“? Wie auch immer, der Gruss blieb (leider) unerwidert, denn die Freundlichkeit traf mich derart unvorbereitet, dass ich etwa eine Minute brauchte um das ganze zu verarbeiten.

Innerhalb dieser Minute bestiegen weitere, ebenfalls müde aussehende, Mitfahrer den Bus und jedes Mal erklang von vorne ein fröhliches „Grüzi mitenand“. Das ganze fing an Spass zu machen. Die Eintretenden schauten verdutzt und diejenigen, die schon drin sassen – und natürlich einen Wissensvorsprung hatten und die Situation schon verarbeitet hatten – fingen unisono an zu Grinsen, wenn ein neuer Gast das Knöpfchen aussen am Bus bediente. In freudiger Erwartung eines verdutzten Neueinsteigers. Ganz nach dem Motto: Machen sie mal an dummes Gesicht! Danke, das reicht schon!

So ging es noch fünf Minuten weiter und dann fuhr der Bus leider schon los und ich dachte, dass wars jetzt mit der Live-Comedy-Show. Weit gefehlt, denn an der nächsten Bushaltestelle stiegen natürlich einige Passanten ein, die mit bekanntem „Grüezi mitenand“ begrüsst wurden. Es stiegen aber vorher auch Mitfahrer aus – die konnten die viele Freundlichkeit wohl nicht ertragen – und diese wurden mit einem ebenfalls sehr mitfühlenden „Auf Wiedersehen und einen schönen Abend“ verabschiedet.

Dieser Prozess wiederholte sich bei jeder Haltestelle. „Auf Wiedersehen und einen schönen Abend – Grüezi mitenand“. Es war einfach herrlich und es machte sich ohne dass ich mich dagegen wehren konnte ein fettes Grinsen in meinem Gesicht breit.

Und wie ich feststellen konnte, erging dies nicht nur mir so und die Stimmung im Bus wurde mit jeder Haltestelle lockerer. Vereinzelt verabschiedeten sich die Mitfahrer beim Aussteigen sogar mit einem leisen „Danke, gleichfalls“ oder etwas ähnlichem. Rührend, wie sich die bekannten Gesichter, welche sonst wie Stockfische im Sessel sitzen und sich hinter dem wie gewohnt vollkommen uninteressanten und oberlangweiligen „heute“ verstecken, völlig ausflippen und über die Masse aus sich herauskommen. Sie ist absolute Weltklasse, diese Busfahrt. Einfach unvergesslich!

Liebe Forscher in England: untersucht doch lieber für einmal wie wenig es brauchen würde, dass Pendeln nicht unglücklich macht…

Donnerstag, 1. November 2007

iPod macht Pendler glücklich

Tatzeit jederzeit, Tatort überall

Stellt euch ein voll besetztes Zugsabteil oder einen adäquat gefüllten lokalen Bus vor. Wer pendelt braucht hierfür insbesondere in den Wintermonaten nicht allzu viel Fantasie. „Dein“ Abteil ist natürlich voll besetzt und alle Mitpendler benützen wie gewohnt das Zugsabteil als fahrende Telefonzelle.

Dir gegenüber sitzt ein solide aussehender Krawatten-Träger und berät einen guten Freund ausführlich und nicht sehr diskret an einer offenbar nicht allzu luxuriösen Verbindung bezüglich dessen Eheprobleme. Neben Dir telefoniert eine junge Frau mit ihrer besten Freundin und diskutiert lautstark über ihre oder deren exponentielle Gewichtszunahme und der mannigfaltigen Gegenmassnahmen und schräg gegenüber protzt ein Spätpubertärer – also ein Mann Mitte Fünfzig – lauthals bei irgendeinem der sich das offensichtlich antun wollte über die letzten (Sex-)Ferien in der Karibik.

Aus welchen Gründen wildfremde Menschen den Wunsch verspüren an ihren mobilen Fernsprechern an öffentlichen Orten und in Anwesenheit von möglichst vielen Mitmenschen äusserst Intimes zu besprechen, ist mir absolut schleierhaft aber natürlich grundsätzlich nicht dein, sondern deren Problem. Dein Problem ist wohl eher, dass dich niemand danach fragt, ob du diesen Seelenmüll in solch konzentrierter Form überhaupt hören möchtest. Es gibt nämlich nur wenige Möglichkeit sich dieser Sendung „Radio Gaga“ zu entziehen.

Ohne eine Dauerwerbesendung bestellt zu haben wirst Du mit den neuesten Diättipps und den dazu gehörenden, ekligen Details berieselt. Ohne einen Ferienprospekt bestellt zu haben, erfährst Du ungefragt und ohne dass es dich im Geringsten interessieren würde, dass in der Karibik wirklich JEDE und JEDER käuflich ist und ohne den Blick zu lesen, kennst du sämtliche Tricks, wie ein Eheleben wieder die Gewisse Spannung erhält.

Du erhältst also die für dein Leben unter Umständen irgendwann relevante Information, dass durch gezielte Massnahmen – darunter waren natürlich die Dauerbrenner-Tipps wie der Frau schöne Unterwäsche kaufen oder ein Wellness-Weekend ohne die Kinder – das Eheleben wieder aufgepeppt werden und die Katastrophe noch abgewendet werden kann. Sollten sich dazu noch Gewichtsprobleme gesellen, kannst Du dann im Internet gleich nach der Buchung des Wellness-Hotels noch das neueste Wundermittel in Sachen Appetitzügler online bestellen und bezüglich der Karibik-Ferien kannst du deine eigenen Schlüsse aus dem gehörten ziehen. Am naheliegendsten liegt wohl die Schlussfolgerung, dass Alter nicht vor Dummheit schützt und dass es in der Karibik sicher auch die Möglichkeit gibt von Viagra befreite Ferien zu verbringen.

Ich habe nach fünf Minuten genug gehört für heute, krame meinen für solche Situationen angeschafften Lebensretter in Form eines wunderbar glänzenden iPods aus der Tasche. Nach wenigen Sekunden erscheint auf dem Display der zum Spiel bereite Interpret. Ja, los James gib mir deine Sicht auf das Leben, da muss ich nur mithören, wenn ich wirklich will.

Sekunden später entspannen sich die Nackenmuskulatur und die gesträubten Haare und ich bin glücklich. Glücklich, dass Steve Jobs wieder zu Apple zurückgekehrt ist und mir meine Frequenzen frei hält.

Pendeln macht also aus dieser Sicht – nicht wie englische Forscher herausgefunden haben wollen - nur dann unglücklich, wenn man die moderne Technologie nicht zu nutzen weiss.

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Der Sohn einer Freundin der Freundin

Tatzeit 18:15, Tatort lokaler Bus

Ich jubiliere, denn ich habe es wider Erwarten doch noch vom verspäteten Zug auf den lokalen Bus geschafft, bevor dieser die Türen definitiv schloss. Stehen muss ich auch nicht, denn obschon der Bus ziemlich voll ist, gibt es einige freie Sitzplätze und ich setze mich neben einen sehr jungen Sennheiser, welcher dies komplett Hip-Hop-zugedröhnt wahrscheinlich noch nicht mal merkt.

Kaum ist der Bus losgefahren, erklingt hinter uns ein freudiges und busfüllendes "Hey, hoi was machsch denn Du da?". Diese Frage verblüfft mich eigentlich jedes Mal und macht mich hellhörig, denn das verspricht doch einige Pralinen der Kommunikation. Wie auch immer die beiden Damen im mittleren Alter vollbringen ihr Begrüssungsritual und setzen sich gleich hinter mich ins Abteil.

Soweit so gut. Ich schaue etwas gelangweilt aus dem Fenster in die feierabendlich gut besuchte Altstadt hinaus und hänge so meinen Gedanken nach, doch dann bekommt die Stimme der einen Frau einen leicht empörten Ausdruck und ich kann mich nicht dagegen wehren dem Gespräch etwas zu folgen. Es geht eindeutig um den Sohn der Freundin einer Freundin der einen Frau. Könnt ihr folgen? Wenn nein, kurz ein Mindmap zeichnen und weiter gehts. Der besagte Sohn einer Freundin der Freundin dieser Frau sei anscheinend noch nicht mal dreissig Jahre alt. Das scheint auf den ersten Blick noch nicht so interessant, aber die Herleitung hats in sich:

Der Sohn dieser Freundin der Freundin also - nennen wir ihn der Einfachheit halber Heinz - der hat sich vor einiger Zeit von seiner Freundin, nennen wir sie Uschi, getrennt und das war doch sehr drammatisch. Uschi ging nämlich jedes Jahr für einen ganzen Monat wohin, wo der Bruder ein Haus hat. Und da hat doch tatsächlich der Heinz die Uschi in diesem kurzen Monat mit einer anderen Frau betrogen, der gemeine Kerl. Macht man doch nicht... Auf jeden Fall hat er danach seinen Fehler seiner Noch-Freundin gestanden und konnte danach nicht mehr mit ihr zusammensein, denn irgendwie war das einfach nicht mehr das Gleiche wie davor.

Nach der schmerzhaften Trennung kamen dann etliche "Tussis" (Anmerkung des Verfassers: Originalton der Freundin der Freundin) in sein Leben und er merkte bald, was er an Uschi gehabt hat. Da kommt mir doch der Michael Mittermayer in den Sinn: blöd, blöd, blöd; aber lassen wir das.

Auf jeden Fall hat er dann eine gemeinsame Kollegin von sich und seiner Ex-Freundin getroffen und die hat ihm dann erzählt, dass sie demnächst heiraten werde (die Kollegin heiratet und nicht die Ex-Freundin), ihn aber irgendwie nicht einladen könne, da seine Ex-Freundin schon zugesagt habe und es dieser überhaupt nicht gut gehe, da sie ihn immer noch sehr vermisse. Darauf ist der Heinz voll in ein Tief gefallen und hat sich grosse Gedanken gemacht darüber was er gemacht hat und darüber ob er seine Ex-Freundin nicht auch noch vermisse.

Dann passierte aber etwas in seinem Leben und die ganze Situation veränderte sich, denn er lernte eine andere Frau kennen und verliebte sich in sie. Sie sind jetzt schon zwei Monate zusammen und er kann sich sogar vorstellen mit ihr Kinder zu haben, obwohl die neue Freundin schon zwei Kinder hat. Die ist nämlich achtunddreissig Jahre alt und damit rund zehn Jahre älter als Heinz und damit war die Herleitung des Alters von Heinz dann abgeschlossen.

Und ich kam nicht darum herum zu denken, dass ich wahnsinnig glücklich bin, dass die Freundin einer Freundin meiner Mutter im Bus einer Bekannten keine solche Geschichten zu erzählen weiss und kam zum Schluss, dass damit ein weiteres Mal bewiesen war, dass pendeln nicht - wie englische Forscher herausgefunden haben wollen - unglücklich macht.

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Colgate Sensation White

Tatzeit 17:48, Tatort S12

Wie die S12 um diese Zeit aussieht, muss ich ja nicht zum wiederholten Male schildern. Gelassen bleiben, einsteigen, die Augen auf und siehe da, in einem Abteil sitzt ein Herr im mittelfeinen Anzug, seine Aktentasche neben sich und die Füsse so lange wie möglich auf die gegenüber liegende Seite ausgestreckt. Das ergibt dann also – wenn ihr euch das bildlich vorstellen könnt – nach Adam Riese noch EINEN freien Sitzplatz schräg gegenüber dem C&A-Beanzugten. Ungefragt setze ich mich auf eben diesen freien Platz, denn wer fragt schon einen Mitfahrer anständig ob noch frei ist, wenn dieser unanständig drei Plätze belegt, oder?

Jedenfalls möchte sonst niemand im Abteil Platz nehmen und dies bleibt auch so bis zum nächsten Halt. Noch mehr Leidensgenossen pferchen sich in den Zug und zwei junge Frauen knapp um die Zwanzig stehen neben „unserem“ Abteil und fragen höflich, ob im Abteil noch zwei Plätze frei sind. Widerwillig zieht der C&A-Mann seine Beine etwas an und so kann ich rüber rutschen. Alles bestens und die eine junge Dame schenkt uns ein Lächeln wie aus der Zahnpasta-Werbung und bedankt sich. So was Weisses, wie die Zähne dieser Frau habe ich noch nie gesehen und ich bin etwas irritiert. Kann denn das mit rechten Dingen zugehen?

Die beiden sich offenbar noch in der Ausbildung befindenden Girls nehmen ihr unterbrochenes Gespräch wieder auf. Es geht irgendwie um eine Praxis, eine Arztpraxis? Also Arztgehilfinnen-Azubis? Bei jeder lustigen Bemerkung ihres Gegenübers reisst die Colgate-Frau die Lippen weit auf und lacht unter Zurschaustellung ihrer perfekten Zähne herzlich heraus. Habt ihr schon mal Pferde gesehen, die als Drohgebärde die Zähne zeigen? Man fühlt sich vom Lächeln der jungen Frau zwar sicher nicht bedroht, ganz im Gegenteil in Nahverkehrszügen wird leider viel zu wenig gelächelt, aber irgendwie wirkt die Szene doch etwas unwirklich und unnatürlich. Sind wir es uns einfach nicht mehr gewohnt, dass jemand unter Einsatz des gesamten Gesichtes lächelt?

Das kommt mir jedenfalls etwas spanisch vor, obschon die Girls mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht von dort kommen. Das Gespräch dreht sich um irgendwelche Behandlungsmethoden und das Geheimnis um das perfekte Gebiss wird langsam klarer und die Gesprächsfetzen konkreter. „Häsch die neui, megatüri Behandligsmethode scho uusprobiert? „Nei, füfhundert Stutz für de Abdruck und für s’Mittel isch krass vill Chole!“ Scho, aber das hebet voll lang ane“.

Also wenn ich das alles richtig verstanden habe, geht es um eine neue Bleaching-Methode bei der erst ein Abdruck gemacht wird und dann wird ein Mittel in diesen Abdruck gegeben und der Abdruck über die Zähne gelegt. Wenn ich mir das nur schon vorstelle kriege ich einen Würgereiz; wie kann man sich das nur antun und das in diesem zarten Alter? Die Dame hat kaum die Milchzähne weg und fummelt schon mit Chemie an ihren zweiten Zähnen rum. Irgendwann werden die Silicon-Implantate wohl schon zur Taufe geschenkt.

Da mache ich es wie ein neuzeitlicher Philosoph und mache nicht die Probleme der Anderen zu den Meinen. Die Sensation-White-Frau auf jeden Fall ist glücklich, dass sie im Zug ihr perfektes Gebiss herzeigen darf und somit wäre auch heute wieder nicht der Beweis erbracht, dass pendeln – wie englische Forscher herausfanden – unglücklich macht.

Mittwoch, 10. Oktober 2007

Die SBB – ihre Abenteuerbahn

Tatzeit 08:22, Tatort S12

Verpennt und somit auch die weniger stark frequentierte S11 verpasst. Die S12 ist wie immer bereits am Morgen ein Renner. Es wird bereits vor dem Halt der Zugseinheit taktiert und die Ellenbogen sind weitgehend ausgefahren. Dieses Spiel überlasse ich freiwillig den Anderen. Gemütlich steige ich – nachdem die Verletzten der Runde eins zur Seite getragen worden sind – in den Zug, frage einen jungen Burschen, der mich trotz übergrossen Sennheisern zu hören scheint, ob der Rucksack auf dem Sitz neben ihm einen Namen habe und ob dieser auch auf seinen Knien oder in der Gepäckablage Platz nehmen könnte. Kein Problem, der Sitzplatz ist mein; Kommunikation ist alles.

Beim Griff in die Kuriertasche stelle ich fest, dass mein MP3-Player noch am Ladegerät zu Hause hängt und ich höre einfach bei meinem jugendlichen Sennheiser mit. Nicht mehr ganz mein Musikstil aber durchaus hörbar. In den Abteilen hinter uns, werden die geklopften Spräche der Wanderfreunde des örtlichen Turnvereins, die sich vergnüglich auf die gemeinsame Bergtour einstimmen, immer lautstarker und berieseln die ganze Zugseinheit. Bald wird klar, dass einige der Wandervögel ehemalige SBB-Mitarbeiter sein müssen, denn es wird gefachsimpelt, dass die Balken biegen. Fahrpläne, Zugsverbindungen und dazu gehörende Lokomotiven und Zugsführer werden auswendig zitiert. Wie kann man nur mitten in der Nacht so hellwach und kommunikativ sein? Wie auch immer, der Grossraumbüro-gewohnte Mithörer blendet aus und alles wird gut.

Die Fahrt im nun endgültig vollgestopften Zug geht los und auch gut bis kurz nach Stettbach. Nach dem dortigen Halt kurz wieder beschleunigt und dann eine Vollbremsung. Das Licht flackert und geht aus. Komplette Dunkelheit verbunden mit einem etwas unwohlen Gemurmel macht sich im Waggon breit. Die fachkundigen SBB-Rentner erklingen einstimmig: „Da kann was aber gar nicht mehr stimmen; jetzt dauert es eine Weile; wir werden den Anschluss in Zürich verpassen; der ganze Wandertag ist im Eimer…“.

Wir richten uns also auf eine längere Wartezeit ein und das wie sich herausstellt auch nicht zu unrecht. Nach einer halben Stunde die erste Mitteilung über die Lautsprecher: Maschinenschaden, die Zugseinheit muss abgeschleppt werden. Die fachmännischen Wandervögel ergänzen die Durchsage mit der nicht sehr hoffnungsvollen Zusatzinformation, dass eine solche moderne Zugseinheit nicht so ohne weiteres abgeschleppt werden kann. Die ersten Notrationen werden aus den Rucksäcken entnommen und verzehrt, Mobiltelefone laufen heiss und es vergeht eine weitere halbe Stunde. In dieser Zeit kreuzen und überholen uns auf dem zweiten Gleis einige glücklichere Zugsreisende und wir sind etwas neidisch. Dann fährt ein weiterer Zug vor und hält neben uns. Nach einer Viertelstunde werden Türen unseres Zuges geöffnet und es betreten Feuerwehrmänner in Vollmontur das Zugsabteil. Im dramatischen Licht der tanzenden Stirnlampen Retter in Gelb wird klar, dass der Zug evakuiert werden soll. Das wird bestimmt ein Riesenspass. Konfuse Befehle führen in unserem Doppelstöcker zu Völkerwanderungen in unterschiedliche Richtungen und das Chaos wird unübersehbar, die Stimmung jedoch erstaunlicherweise immer gelassener und es werden fröhliche Frotzeleien zwischen Menschen ausgetauscht, welche sich üblicherweise hinter Zeitungen versteckt anschweigen. Mir gefällts!

Endlich wird klar in welche Richtung der Personenstrom gehen soll und die Evakuation kann beginnen. Zwischen die beiden Türen der Züge werden Brücken verlegt und die Bergung geht einigermassen gesittet über die Bühne Nach einer halben Stunde fährt der – nach indischen Vorbildern komplett überladene „Bergungszug“ in Stadelhofen ein und entlädt dort eine fröhlich über das erlebte quatschende Menschenmenge, die dort von Reportern der lokalen Medien in Beschlag genommen wird. Grinsend werden die Erlebnisse geschildert und mir stellt sich einmal mehr die Frage, wie englische Forscher zum Schluss kamen, dass pendeln unglücklich macht.

Erotisches Hörspiel

Tatzeit 08:00, Tatort S11

Im öffentlichen Nahverkehrsmittel aufgrund der grossen Nachfrage frühmorgens schon nur einen Stehplatz inklusive Studenten-Rucksack-im-Rücken ergattert. Ich werde dem Bundesamt für Gesundheit bei Gelegenheit einen Kampagnenvorschlag unterbreiten mit dem Ziel unseren Studenten die Fahrt mit dem Rad ins Gymnasium als Steigerungspotential für Lebensfreude zu verkaufen. Es wird sich sicherlich irgendwo auf unserem schönen Planeten ein Forschungsergebnis finden lassen, welches belegt, dass Radfahren die Lebensqualität und das Denkvermögen steigert. Dann hätten diejenigen wieder einen Sitzplatz, die bei der Arbeit nicht so viel denken müssen, wie die Horden von Gymnasiasten, welche täglich die Busse verstopfen.

Das Gesicht und die Psyche noch frühmorgendlich verknittert bietet der Tag somit wohl noch viele Entfaltungsmöglichkeiten. Die S-Bahn sieht von weitem und im Rennen gar nicht allzu vollgestopft aus und die Laune bessert sich schlagartig. Drei durchaus positiv zu wertende Ereignisse zugleich: des Licht auf der Öffne-die-Tür-Taste ist ausnahmsweise nicht zwei Zentimeter vor dem Finger erloschen, die Tür ging auf und ein Sitzplatz mit Fussfreiheit konnte ohne grosses Bergsteigen ergattert werden. Ich kuschle mich in die Ecke und schliesse nochmals die Augen, denn es gibt noch nicht viel zu sehen und ausserdem führt zu aktives Schauen häufig zu unangenehmen Gefühlen bei den anderen Insassen. Und das ist ja unbedingt zu vermeiden, oder?

Irgendwo klingelt wie gewohnt lautstark ein Mobiltelefon. Muss wohl geschäftlich und wichtig sein, denn wer möchte noch mitten in der Nacht private Gespräche führen? Weit gefehlt. Aufgrund der überaus herzlichen Begrüssung zwischen den beiden jungen Frauen, muss es sich eindeutig um ein Privatgespräch handeln. Das anfangs belanglose Gespräch über Dies und Das lullt langsam ein und verliert sich in der Unaufmerksamkeit. Doch plötzlich nimmt die nur einseitig einhörbare Konversation zwischen Petra auf der anderen Seite und der Blonden auf „unserer“ Seite eine dramatische Wendung. Die Freundin am anderen Ende muss wohl eine Frage im Sinne von „Ich habe gestern Nacht schon mal angerufen, aber Du gingst nicht ran. Wo warst Du?“ gestellt haben, denn die Blonde fängt begeistert und nach wie vor für das ganze Abteil nicht überhörbar von der letzten Nacht zu erzählen. Schon nach einigen Sätzen der Blonden, die nur durch neidische oder begeisterte Zwischenrufe von Petra unterbrochen werden, wird den Mitpendlern klar, dass die letzte Nacht der Blonden etwas ganz besonderes war. Es werden pikanteste Details eines Abends oder besser einer Nacht geschildert, die bei einem kleinen Feierabend-Drink in der Lieblingsbar begann und früh morgens verschwitzt geendet haben muss. Klingt wie aus dem Drehbuch eines mehr oder weniger anständigen Filmes und lässt wenig Spielraum für Missverständnisse.

Ich suche im Waggon nach der Quelle der Geschichte, um zum Ton auch ein Bild zu kriegen und stelle beinahe schon erstaunt fest, dass die Erzählerin trotz auf sie gerichteten, belustigten Blicken mitnichten errötet oder gar die Lautstärke senkt oder gar Details weglässt. Komplett versunken in die kleine virtuelle Welt, welche dank der modernen Kommunikationstechnologie zwischen Petra und ihr entstanden ist, schwebt sie, bis der Zug zum letzten Mal hält, dem siebten Himmel entgegen. Dort entsteigt sie dem Zug zusammen mit allen Belustigten und diese verpassen das letzte Kapitel des erotischen Hörspiels.


Aber offensichtlich stört dies die Wenigsten, denn alle stolpern mit einem kleinen Grinsen im Gesicht aus dem sonst so tristen Transportmittel und ich frage mich zum wiederholten Male wie englische Forscher zum Ergebnis gekommen sind, dass pendeln unglücklich macht.

Tempo macht glücklich

Tatzeit 17:48, Tatort S12

Schlechte Zeit eine S-Bahn zu besteigen. Ältere Damen kommen ausgeruht aus der „Erfahrungsgruppe 70Plus“ und treffen am Bahnsteig vehement auf müde gearbeitete Pendler. Die Tore zu den blau-gelb schöngefärbten Viehtransportern öffnen sich und die Rentnerin trägt den ersten Sieg des Tages davon. Von hinten wird ohne Rücksicht auf die Privatsphäre des Vordermannes mit allem geschoben was zur Verfügung steht. Selbst diejenigen jungen Frauen, die im Ausgang alle flirtwilligen Männer mit Blicken, die töten können auch nur am Versuch hindern daran zu denken sie anzusprechen, reiben ihre Brüste an Männern, die sie noch nicht mal gefragt haben, ob man sich nicht irgendwoher kenne.

Dennoch den Einstieg geschafft, den notorischen Mittelgang-Sitzern getrotzt und beim gekonnten Übersteiger auf den Fensterplatz einen Zeh nur so leicht ramponiert, dass sich keine verbale Auseinandersetzung ergeben hat. Mit der nicht allzu philosophischen Frage, ob es sich bei den Mittelgang-Sitzern um die gleichen Menschen handelt, die notorisch den linken Fahrsteifen auf der Autobahn für sich beanspruchen beschäftigt, wird die Wunschlektüre hervorgekramt. Nach zwei, drei Zeilen ein störendes und vermeidbares menschliches Geräusch: Die Nase des Gegenübers ist wohl etwas erkältet und dieser möchte diesen unglücklichen Umstand seinen Mitmenschen unbedingt mitteilen. Die zwangsläufig austretenden Flüssigkeiten werden unter Einsatz der Finger und durch heftiges und lautstarkes Wiedereinatmen von Luft und Flüssigkeit wieder an ihren Herkunftsort befördert. Was will der arme kranke Mann uns mitteilen? Hat er vielleicht kein Taschentuch? Freut er sich gar, wenn ich ihm eines anbiete? Kurz überlegt und dem leidenden Mitmenschen nach einem weiteren Gerotze unverblümt ins Gesicht geschaut, komme ich zum Schluss, dass sich dieser durch seine laufende Nase rein gar nicht gestört fühlt und unterlasse die Hilfestellung.

Der Zug fährt los und nach kurzer Zeit ein nächstes Schniefen, meine Hand greift ohne einen aktiven Befehl vom Hirn bekommen zu haben automatisch in die für chronische Pendler absolut obligate Umhängetasche und befördert eine kleine, schwarze Ego-Disko heraus. Die Ohren so zugestöpselt und mit Musik berieselt sollte die humane Störfrequenz behoben sein, so meint der Berieselte blauäugig, und dem Lesegenuss steht nichts mehr im Wege. Falsch gedacht, denn die lautstärkenbegrenzte Leistung, lässt unerwartet die notwendige Buchstaben-Konzentration nicht zu. Dieser Umstand verleitet mich dazu, den Spiess umzudrehen und ich beginne damit mir einen Sport daraus zu machen, die Abstände zwischen den Schnieffern in einer relevanten Messung festzuhalten. Der neue Pendler-Schweizerrekord belief sich demnach auf sechs Sekunden zwischen zwei Hochziehern und dass lässt doch auf relativ gute konditionelle Rahmenbedingungen des Nasenträgers schliessen.

Kurz vor der Erlösung für alle im Abteil sitzenden Mitpendlern, sprich kurz vor der Endstation, wurde die Situation richtig dramatisch: Der Erkältungsgeplagte bemerkt nach einer halben Stunde tatsächlich, dass er immer noch auf der Mittelspur fährt, öffnet seine Marken-Umhängetasche und befördert in grossem Tempo ein gleichnamiges Papiertaschentuch-Päcklein hervor und schneutzt sich damit ordentlich und wider erwarten sehr gepflegt die Nase. Alle Mithörer kommen darauf hin natürlich nicht darum herum die Lautstärke Ihrer Musikplayer zeitgleich runter zu drehen und siehe da für die letzten beiden Minuten funktioniert die Nase des Sitznachbars ganz einwand- und geräuschfrei. Er lächelt ob des stark verbesserten Zustandes seelig vor sich hin und macht nun einen glücklichen Eindruck.


Und mir stellt sich die Frage, wie englische Forscher zum Schluss kamen, dass pendeln unglücklich macht.